,

Andi Kunz blickt auf eine lange Saison zurück

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
was für eine verrückte Saison.  Hinter dem TV Kirchzell liegt eine lange, aufwändige Runde, die am Ende mit der Meisterschaft in der Handball-Oberliga und dem Aufstieg in die dritte Liga belohnt wurde. Die junge Mannschaft von Trainer Andi Kunz hat allen Unwägbarkeiten getrotzt, hat Verletzungen weg gesteckt und die Hürde Relegation genommen. Denn heuer war die Meisterschaft nicht gleichbedeutend mit dem Aufstieg. Diesmal mussten die Teams, die Meister wurden,  in die Verlängerung. Nachdem der TVK in der ersten Runde der Aufstiegsrelegation nicht zu den sechs Gesamtsiegern gehörte und in ihrer Gruppe dem TV Hochdorf den Vortritt lassen musste, entschieden Kapitän Nico Polixenidis und Co. in der zweiten Runde den Aufstieg für sich und krönten damit jüngst mit dem Sieg in Dinslaken eine strapaziöse Saison.
 
Grund genug, um zusammen mit Trainer Andi Kunz auf die abgelaufene Saison zurück zu blicken. Das Interview könnt Ihr auch in meiner Heimatzeitung Main-Echo lesen. 
 
Andi, im Oktober vergangenen Jahres hatte der TV Kirchzell nach dem Auswärtsspiel in Melsungen 7:7 Punkte auf dem Konto. Danach startete Dein Team einen Lauf und gab bis zur Winterpause nur noch das Spiel gegen Gensungen/Felsberg verloren. Danach stand im März noch ein Unentschieden gegen Groß-Umstadt. Alle anderen Matches wurden gewonnen.  Eine unglaubliche Quote. Wie erklärst Du Dir das?
 
“Ich hatte ja von Anfang an gesagt, dass unser Startprogramm gefährlich ist. In Dotzheim war eine Aufstiegseuphorie zu spüren und deren Kader war damals stark besetzt.  Auch Kleenheim ist ein sehr gutes Team.  Dann haben wir in Bürgel verloren.  Die hatten übrigens bis zu unserem Zusammentreffen im Oktober auch nur zwei Punkte abgegeben. Im Spiel gegen Bürgel trafen an dem Tag zwei schlechte Teams aufeinander. Doch Bürgel war daheim stark genug, um sich die Punkte zu holen.
Ohne Tim und Max
Beim Spiel in Melsungen mussten wir schon ohne Tim Häufglöckner und Maximilian Gläser auskommen. Das hat uns zu schaffen gemacht und auch die sechs Verlustpunkte, die wir bis dahin schon hatten, haben am Selbstvertrauen genagt. Hinzu kam, dass es so ein typisches, für uns ungewohntes, Sonntagabend-Spiel war, die Schiedsrichter einige Unruhe reinbrachten und wir mit Ach und Krach einen Punkt geholt haben.”
 
 Wie verlief die Heimfahrt?

“Ich war ziemlich sauer damals und habe mit meinem Team Tacheles geredet. Das war aber auch die Phase, in dem ich mein Team aufgefordert habe, sich mit Hilfe von Spieltag-Videos selbst herauszuarbeiten, was falsch gelaufen ist. Ich habe meine Jungs in die Vorbereitung mit eingebunden. Sie mussten schriftlich abhandeln, wie sie sich die Vorbereitung auf den nächsten Gegner vorstellen. So wollte ich ein Comeback in die Saison erzwingen.”

Und hat das so geklappt, wie Du Dir das vorgestellt hast?
 
“Für so ein Comeback-Spiel brauchst du ein Spiel zu Hause.  Doch wir mussten zunächst nach Hüttenberg. Ohne den verletzten Brian Heinrich. Dafür war Tim Häufglöckner wieder mit dabei. Der Sieg tat uns gut, aber das richtige Comeback war zu Hause gegen Groß-Umstadt. Wir haben den Gegner deklassiert und dann waren wir wieder im Rennen mit dabei.  Vieles ist uns zu diesem Zeitpunkt auch reingelaufen. So musste zum Beispiel Babenhausen gegen uns auf Leistungsträger Simon Brandt verzichten. Aber auch wir mussten ohne Max und Brian auskommen. Es gleicht sich immer wieder aus.”
 
Dann kam gegen Gensungen/Felsberg noch eine Niederlage…
 
“Ja, das stimmt. Wobei ich noch Wochen danach gesagt habe, dass wir – trotz der Niederlage – in Gensungen unser bestes Saisonspiel abgeliefert haben. Wir haben mit einem „Trümmerhaufen“ dort verloren und Gensungen musste ein Riesenspiel machen, um uns zu bezwingen. Ich kann mich erinnern, dass ich danach Gottfried Kunz, der an dem Tag nicht dabei sein konnte, angerufen und ihm von unserem unglaublich guten Auftritt erzählt habe. So blöd sich das anhört, diese Niederlage hat uns sehr viel Mut gegeben.”
 
Vor der Winterpause stand dann noch Münster auf dem Spielplan.
 
“Ja, und wir wussten, wenn wir gegen Münster gewinnen, dann ist noch alles drin für uns. Dann können wir vorne mitmischen. So war es dann auch.”
 
War der gute Start ins neue Jahr mitentscheidend für den Ausgang der Saison?
 
“Auf jeden Fall. Wir wollten uns mit den Heimspielen gegen Dotzheim, Kleenheim und dem hässlichen Auswärtsspiel gegen Wiesbaden das „Finale um Platz eins“ gegen Bürgel erarbeiten. Das haben wir geschafft. Gegen Bürgel zu Hause haben wir ein geiles Spiel abgeliefert, obwohl wir danach im direkten Vergleich immer noch schlechter waren. Aber wir waren punktgleich zu diesem Zeitpunkt. Und als Bürgel dann in Dotzheim verlor, waren wir Tabellenführer. Das sind dann die Momente, wo du anfängst, an dich zu glauben. Meine Jungs und ich haben damals viel geredet, wollten „frei aufspielen“, bloß nicht verkrampfen. Aufgrund der Situation war dies nicht einfach. Es spielt sich sehr viel im Kopf ab. Aber wir haben auch ganz viel unserer Disziplin zu verdanken, die wir immer wieder an den Tag legten.”
 
Da hat sich das „viele Reden“ ausgezahlt, oder?
 
“Auf alle Fälle. Als wir die Gejagten waren, hat sich der Knoten gelöst. Wir wollten mit jedem Spiel die Tabellenführung halten, wollten frei aufspielen und uns am Ende das Ding holen. Wir haben uns immer wieder gesagt, dass wir in jedem Spiel unsere Stärken einbringen wollen, uns immer vor Augen gehalten, was wir gut gemacht haben seit den 7:7 Punkten. Und diese Dinge dann Training für Training und Spiel für Spiel wiederholt. Natürlich haben wir auch an den Feinheiten gearbeitet. Aber die Abwehr und der Gegenstoß ist klar unsere Stärke. Wenn wir so in den Flow kommen, können wir auch Spiele zu unseren Gunsten frühzeitig entscheiden. Es war beeindruckend, was meine Mannschaft geleistet hat.”
 
An was machst Du die enorme Heimstärke fest?
 
“Ich habe meinen Jungs immer gesagt, wenn wir Meister werden wollen, dann müssen wir alle Heimspiele gewinnen. Darauf haben wir uns fokussiert. Aber wir wollten das Thema Meisterschaft auch nicht zu hoch hängen. Wir wollten nach jedem Spiel einfach feiern und gute Laune haben, zeigen, dass wir die Liga gewinnen können. Allerdings wusste ich auch nicht genau, wie meine Jungs mit dem Druck, der auf jeden Fall da war, umgehen werden. Ich habe immer wieder gesagt: entweder geht der Kopf nach dem Spiel runter oder wir haben Grund zum Feiern, wir haben es selbst in der Hand. Aber ein bisschen Angst war schon da, dass wir für diese geile Runde am Ende nichts bekommen. Wir hätten zum Schluss auch Zweiter werden können. Das ist auch ein toller Erfolg. Doch das wollten wir nicht. Wir wollten ganz oben stehen. Dafür haben wir gekämpft.”
 
Wer hat den größten Sprung in Deinem Team gemacht?
 
“Wir haben ein sehr junges Team, haben ein System, in dem die Aufgaben klar verteilt sind. Jeder hat seine Rolle und die muss er ausfüllen, muss da sein, wenn er gebraucht wird. Das gilt für den Stammspieler genauso wie für den auf der Bank. Ich möchte keinen herausheben. Für mich hat das Team als solches eine herausragende Entwicklung durchgemacht. Gerade in der Zeit, als wir ohne Max und Brian auskommen mussten, hat sich gezeigt, wie sehr jeder für jeden da ist.  Da mussten zum Beispiel Josip Punda, Jonas Wuth und Tim Häufglöckner Woche für Woche 60 Minuten vorne und hinten durchpowern und sie haben es geschafft. Michael Meyer-Ricks sorgte für Entlastung und so reihte sich ein Spieler an den anderen.
Es wäre vermessen einen herauszuheben
Es wäre vermessen, einen herauszuheben. Alle haben einen Schritt nach vorne gemacht.  Über die Bedeutung von Max als abwehrstarkem Linkshänder müssen wir nicht reden. Aber wir konnten auch ihn trotzdem kompensieren. Brian kann ein Spiel mittlerweile sehr gut lesen, der Weg von Leon David  hat sich abgezeichnet, Lukas Häufglöckner hat sich extrem stabilisiert. Nico Polixenidis kannst du immer überall einsetzen. Unser Torhüter Tobias Jörg spielte eine starke Runde, Niklas Eul war immer da. Marcel Schneider hat sich richtig herangearbeitet. Pascal Horak spielte zwar nur sporadisch, war aber als Typ unglaublich wichtig für das Team. Meine gesamte Mannschaft hat einen tollen Job gemacht. Aber alle haben auch noch Potential nach oben und das werden wir brauchen, wenn wir in der dritten Liga überleben wollen.”
 
In der Relegation kam das Harz. War das Wettbewerbsverzerrung?
 
“Im ersten Spiel gegen Hochdorf war es heftig. Klar, war Thomas Bolling im Tor super. Aber die ganze Runde ohne Harz und dann plötzlich mit Kleber zu spielen,  war extrem. Da passieren Fehler, die sonst nicht passieren. Es war für uns schon ein großer Nachteil und nach so einer Runde frustrierend. Wir mussten im Training Passen und Fangen üben…  Das muss man sich mal vorstellen. Da war natürlich auch bei meinen Spielern Redebedarf. Ganz normale Abläufe kamen plötzlich ins Wanken. Wir haben sogar die Bälle gewechselt, haben nichts unversucht gelassen, um mit Harz zu recht zu kommen.
Alle Finger mit Tape abgeklebt
Die Jungs haben angefangen, alle Finger mit Tape abzukleben. Wir haben in der Zeit cirka 240 Meter Tape benötigt. Es war eine Herausforderung, denn wir hatten bis zum ersten Spiel mit Kleber nur vier Einheiten zur Verfügung. Danach wurde es von Spiel zu Spiel besser. Gegen Hochdorf hätten wir vielleicht ohnehin Probleme gehabt. Aber es wäre enger als sieben Tore ausgegangen. Den Hauptgrund dafür muss man schon nennen dürfen – und das war der Kleber, den wir in unserer Liga nicht benutzen durften.”
 
Wie groß war die Nervosität vor dem Dinslaken-Spiel?
 
“Wir wussten, dass es in diesem Spiel um alles ging, hatten einen kleinen Vorteil gegenüber Dinslaken. Wir konnten uns eine Woche drauf vorbereiten. Dinslaken hat ja donnerstags noch gegen Bad Neustadt gespielt. Wir mussten schon mit der Nervosität kämpfen. Aber wir haben uns wie immer detailliert, akribisch vorbereitet und wir wussten, dass wir Tempo machen mussten. Denn Dinslaken hatte ein, zwei Spieler, die am Limit gingen. Das wollten wir für uns nutzen.
Wir haben uns vor der Abfahrt morgens alle getroffen, haben ein bisschen Fußball-Tennis zum Locker werden gespielt. Wir hatten sehr viel Spaß dabei. Das war mir wichtig. Wir wollten den Tag einfach mit Freude beginnen und auch mit Freude abschließen. Das ist uns gelungen.” 
 
Was hat die Jungs trotz der langen Runde außer dem Ziel Aufstieg noch beflügelt?
 
“Unser tolles Publikum, die Trommler, die immer da waren, die Familien und Freundinnen der Spieler, die Damenmannschaft, die uns teilweise nachgereist ist. Die ganze TVK-Familie war unterwegs und hat zusammen gehalten. Gerade in Dinslaken war es Gänsehaut pur. Ich möchte ein großes Dankeschön an alle loswerden. Was unser Umfeld geleistet hat, war unglaublich. Auch ein ganz dickes Dankeschön an unsere Ärzte Dr. Folger und Dr. Petermann. Gerade zum Schluss der Runde haben wir sie sehr oft gebraucht und sie waren immer da, waren unglaublich engagiert und haben uns enorm geholfen. Diese Wertschätzung von allen war für uns als Mannschaft ganz toll. Das wollten wir unbedingt zurückgeben.”
 
Schauen wir ein bisschen voraus. Wann geht es mit der Vorbereitung auf die neue Runde los?
 
“Wir fangen am 5. Juli an. Bis dahin müssen die Jungs selbstständig trainieren und sich fithalten. Es ist eine knappe Vorbereitung, aber wir hatten ja noch vier Wochen mehr zur „Vorbereitung“… Wichtig ist, wenn es wieder los geht, dass die Jungs Lust auf Handball haben.”
 
Stehen Turniere oder Trainingslager an?
 
“Wir werden uns klassisch vorbereiten. Natürlich wird es ein paar Testspiele geben. Wir werden gemeinsame Aktivitäten haben. Aber wir müssen innerhalb ein paar Wochen auf ein anderes Niveau kommen, werden an der Geschwindigkeit, am Timing und am Entscheidungsverhalten arbeiten. Dann werden wir sehen.”
 
Gibt es Neuzugänge?
 
“Mit Niklas Depp bekommen wir einen wurfgewaltigen Spieler von der HSG Stockstadt/Mainaschaff. Ich bin sehr gespannt, wie er den Sprung aus der Bezirksoberliga in die 3. Liga meistert. Ich freue mich auf die Arbeit mit ihm. Ansonsten halten wir den Kader zusammen. Wenn uns noch einer „zuläuft“, der passt, dann nehme ich gerne noch einen. Aber wir sind nicht zwingend auf der Suche.”
 
Wie sind die Aussichten in der dritten Liga?
 
“Ich bin kein Freund von Spekulationen, Vorhersagen und Hellseherei. Das sollen „Experten“ machen. Ich weiß nur: drei Teams müssen hinter uns bleiben. Das ist die Aufgabe vom ersten Spieltag an.”
 
Wir wünschen dem TVK einen guten Einstand in die neue Liga und viel Erfolg.