Handball – 3. Liga: Die jungen Wilden aus Kirchzell waren auch von Nieder-Roden nicht zu stoppen
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Wer in der dritten Handball Liga, Staffel Süd-West, das Derby zwischen der HSG Rodgau Nieder-Roden und dem TV Kirchzell am Samstagabend nicht gesehen hat, der hat definitiv etwas versäumt. Der TV Kirchzell eilte auch in fremder Halle zu einem 34:28 (16:12)-Erfolg und holte sich den achten Sieg in Folge. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: acht Siege in Folge! Und das ersatzgeschwächt und als Aufsteiger. Denn neben den Langzeitverletzten Oleh Soloviov und Louis Hauptmann und ohne Niklas Ihmer (Fußverletzung) musste auch noch Tom Spieß grippekrank passen. Generell hatte das Derby alles, was es haben muss: Rasse, Klasse, Kampfgeist, Emotionen…
Doch das war nicht das Einzige. In meiner langjährigen Tätigkeit als Sportjournalistin habe ich mich so gut wie nie über Schiedsrichter ausgelassen. Was allerdings die beiden am vergangenen Samstag in Halbzeit eins zusammen pfiffen, ging nicht auf die berühmte Kuhhaut. Wie man ein Derby, in dem beide Mannschaften logischerweise den Sieg wollten und es dementsprechend kampfbetont zugeht, in den ersten 30 Minuten so derart verpfeifen kann, dass eine unglaubliche Hektik und eine enorm aufgeheizte Stimmung aufkam – auf dem Parkett und auf den Zuschauerrängen – das ist mir auch einen Tag nach der Begegnung noch immer schleierhaft.
Insgesamt verhängten die beiden Referees zwölf Zeitstrafen plus eine rote Karte (fünf für die Hausherren, sieben plus rot für die Gäste). Die souveränsten und besten Schiedsrichter sind immer die, die du überhaupt nicht bemerkst. Das sagte einmal ein Nationaltrainer zu mir. Am Samstag war das definitiv nicht der Fall.
Handball wurde trotz allem auch noch gespielt
Trotz allem wurde auch noch Handball gespielt. Und das nicht schlecht. Yann de Waha eröffnete den Torreigen auf seiten der Gäste, Simon Brandt glich aus. Über 2:2, 4:4, und 6:6 (13.) blieb die Partie ausgeglichen. Bis dahin gab es schon zwei Zeitstrafen für die Gäste. Dem nicht genug. Nach einem Foul am Rodgauer Ben Seidel sah Joshua Osifo, eine der ganz großen Stützen des TVK, den roten Karton. Wenn schon rot, dann nicht für ihn, denn mit ihm erwischte es definiitiv den falschen Spieler. Die vielen mitgereisten TVK-Fans waren außer sich und sorgten dafür, dass aus einem Auswärtsspiel ein Heimspiel wurde.
Dem Protest von TVK-Trainer Alex Hauptmann folgte die Zwei-Minuten-Strafe gegen ihn. Ohne Joshua Osifo und den erkrankten Tom Spieß war der eigentliche Innenblock in der Form nicht mehr vorhanden. Es hieß improvisieren. Also tauchte Ievgen Zhuk im Rückraum auf oder Anton Bayer. Tim Häufglöckner führte geschickt Regie, war Ideengeber, Anspieler oder traf selbst nach Belieben. So klappte zum Beispiel das Zusammenspiel mit dem bärenstarken Jannik Wolf hervorragend. Hinzu kam ein Tobias Jörg im Tor, der beinahe unüberwindbar war. Mit stoischer Ruhe kochte er dem Gegner einen Ball nach dem anderen ab und war ein großer Rückhalt. Beim 8:8 in der 17. Minute nahm HSG-Trainer Peter David die Auszeit. Sechs Minuten später zog Alex Hauptmann den grünen Karton (11:11). Seine Worte fruchteten und seine Jungs zogen bis zur Pause auf 16:12 davon.
TVK nicht mehr aufzuhalten
Nach dem Wechsel fiel schnell das 17:12 durch Jannik Wolf. Die Partie war umkämpft, doch der emotionale und leidenschaftliche Aspekt lag eindeutig bei den Gästen. Allen Widrigkeiten zum Trotz spielten sie unglaublich gut auf und nahmen in schöner Regelmäßigkeit die Nieder-Rodener Abwehr auseinander. Egal, wen HSG-Trainer Peter David aufs Parkett schickte oder ob er Marco Rhein oder Philipp Hoepffner zwischen die Pfosten stellte. Den jungen Wilden aus Kirchzell war dies egal. Beim 17:21 (40.) nahmen die Hausherren erneut eine Auszeit und beim 19:23 (44.) war es der Gast, der eine kurze “Pause” nahm. Anschließend kam der lange verletzte Joshua Löffelmann zu einem Strafwurf zwischen die Kirchzeller Pfosten. Diesen hielt er und blieb anschließend im Tor. Auf der anderen Seite wechselten die Torhüter noch einmal hin und her. Doch der TVK hatte sich längst in einen Flow gespielt, agierte stark ersatzgeschwächt mit einer Selbstverständlichkeit, die immens war. Beide Trainer nahmen in der Endphase noch einmal ihre Auszeit, die HSG agierte etwas offensiver in der Abwehr. Doch der TVK war längst nicht mehr zu bändigen. Am Ende hieß es 34:28 und es hallten die Sprechchöre vom Gästeblock durch die Halle: “Hier regiert der TVK.”
TVK-Kapitän Jan Blank schüttelte nach Schlusspfiff nur den Kopf und war sichtlich stolz, als er sagte:: “Habt Ihr gesehen, was unsere Jungen da gemacht haben? Wie sie in ihre ungewohnten Rollen geschlüpft sind, die gegnerische Abwehr auseinander gespielt haben oder selbst eine Defensive vom Feinsten gestellt haben? In dem Hexenkessel so ruhig zu bleiben, war Wahnsinn.”
Marco Rhein, sportlicher Leiter der HSG, gratulierte Kirchzell zum Sieg und sagte: “Große Anerkennung, was der TVK leistet. Nach der roten Karte für Osifo haben wir gedacht, dass wir das Spiel gewinnen können. Doch wir hatten nicht diesen emotionalen Zustand, den der TVK an den Tag legte. Daher bin ich unzufrieden. Wir müssen uns hinterfragen, was wir hier gespielt haben. Gefühlt war es heute wie ein Auswärtsspiel für uns.”
TVK-Trainer Alex Hauptmann freute sich sehr über den Erfolg, war doch Nieder-Roden war lange Zeit seine sportliche Heimat: “Es war ein komisches Spiel, denn ich hatte das Gefühl, dass in Halbzeit eins nicht die Spieler, sondern die Schiris entschieden. Ein paar Pfiffe haben mich fassungslos gemacht. Wir waren die Mannschaft auf dem Feld, die den Sieg erzwungen hat. Wir sind immer noch den einen Schritt mehr gegangen. Wir haben einen riesigen Lauf, es ist eine geile Truppe und wir haben ein geiles Publikum.”
TV Kirchzell:
Paul Büchler,Tobias Jörg, Joshua Löffelmann; Julius Mattern, Jan Blank 1, Anton Bayer 2, Tim Häufglöckner 8/1, Antonio Schnellbacher 5, Ievgen Zhuk 7/2, Jannik Wolf 8, Yann de Waha 2.