Handball-Trainer Michael Roth im Interview
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Die Trennung kam unverhofft, die Enttäuschung saß tief. Doch jetzt, einige Monate nach der vorzeitigen Beendigung seines Vertrags im September 2024 beim Handball Zweitligisten TV Großwallstadt sitzt Michael Roth gutgelaunt vor uns, ist bereit für neue Aufgaben und ist voller Tatendrang.
Der ehemalige 44-fache Nationalspieler, Silbermedaillen-Gewinner bei den Olympischen Spielen in Los Angeles und jetzige Profi-Trainer, der eine 30-jährige Erfahrung vorzuweisen hat, hat uns ein paar Fragen beantwortet:
Michael, es sind jetzt einige Wochen seit der vorzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit zwischen dem TVG und Dir ins Land gezogen. Wie geht es Dir, hat sich die Enttäuschung ein bisschen gelegt?
„Eine Entlassung ist es immer ein Prozess, der nach gewissen Regeln abläuft. Letztendlich war für mich wichtig, dass ich mittlerweile wieder gesund bin. Nach meiner Entlassung musste ich erst einmal alles sacken lassen, alles verarbeiten. Was letztendlich bleibt, sind dann doch einige persönliche Enttäuschungen. Die muss ich noch verarbeiten. Für mich war wichtig, dass wir uns ordentlich getrennt haben, den Vertrag aufgelöst haben. Es ist arbeitstechnisch nichts zurück geblieben. Das ist gut so. Jetzt geht der Blick bei mir wieder nach vorne.“
… und gesundheitlich?
„Gesundheitlich geht es mir super, denn ich habe die letzten Wochen meine Gesundheit nach vorne getrieben. Das ist für mich jetzt erst einmal das Wichtigste gewesen. Ich hatte phasenweise wieder zu früh angefangen zu arbeiten, denn wenn man als Chef nicht da ist, dann ‚tanzen die Mäuse auf dem Tisch‘ und in der Zeit haben sich ein paar Dinge innerhalb des Vereins und der Mannschaft entwickelt, die ich nicht kontrollieren konnte. Aber noch einmal. Ich habe sechs Operationen im vergangenen Jahr gehabt, habe aufgrund meines Verantwortungsbewusstseins jedes Mal viel zu früh wieder angefangen zu arbeiten. Das war für meine Gesundheit nicht optimal.“
Wie intensiv verfolgst Du aktuell die Liga – egal, ob erste oder zweite Liga?
„Ich bin immer auf dem Laufenden, egal, ob erste oder zweite Liga. Es interessiert mich natürlich, wie die Mannschaften spielen und es ist immer wieder interessant zu sehen, wie unberechenbar die zweite Liga geworden ist. Es stehen Mannschaften mit oben in der Tabelle, die dort nicht zu erwarten waren. Andererseits stehen Mannschaften wie Hagen, Nettelstedt oder Hamm unten. Das macht das ganze sehr gefährlich – auch für den TVG. In der vergangenen Saison waren zwei Absteiger relativ schnell festgestanden. Dieses Jahr ist es so, dass – so wie es derzeit ausschaut – wohl Konstanz absteigen wird. Aber dann kommt noch ein Team hinzu, das vielleicht nicht damit rechnet, abzusteigen. Das macht die Sache gefährlich und man muss gucken, dass man relativ schnell aus dem Tabellenkeller herauskommt.“
Gucken wir mal auf die erste Liga. Du warst ja lange bei der MT Melsungen und hast bei deren Entwicklung enorm mitgeholfen. Kam es für Dich überraschend, dass Melsungen jetzt so eine gute Rolle in der ersten Liga spielt?
„Nein, es ist für mich nicht ganz so überraschend. Nach dem Weggang von Axel Geerken, der viele Fehler gemacht hat, hat Michael Allendorf das Ruder übernommen. Er hat ein gutes Gefühl dafür, gute Spieler zu holen, die in die Mannschaft und zum Trainer Roberto Garcia Parrondo passen. Auch kann der Trainer mitentscheiden, welche Spieler kommen. Dadurch schaffte er es, endlich ein Team zu formen. Das war nach meinem Weggang so nicht der Fall und die MT musste ein paar Jahre lang richtig Lehrgeld bezahlen. Von daher gesehen ist es keine große Überraschung, dass die MT so eine gute Rolle in der Liga spielt. Was mich persönlich sehr freut. Man muss Michael Allendorf gratulieren, dass er das ganze Ruder herumgeworfen und eine Einheit geformt hat. Fans und Mannschaft – und das spiegelt sich auf dem Feld wider.“
Du hast gesagt, dass Du die Liga sehr intensiv verfolgst. Legst Du ein besonderes Augenmerk auf Deine ehemaligen Vereine?
„Das macht ja generell jeder Trainer oder auch jeder Spieler, egal wo er mal trainiert oder gespielt hat. Das ist normal. Damals in Melsungen war es ja kein besonders guter Abschied für mich. Dann ist man zunächst einmal ein bisschen sauer oder enttäuscht. Aber vom Prinzip her interessiert mich immer, was der Ex-Verein macht.“
Eingangs hast Du gesagt, dass Du gesundheitlich wieder total fit bist. Würde es Dich mittlerweile schon wieder reizen, eine Mannschaft zu trainieren, als ‚Feuerwehrmann‘ einzuspringen oder anderweitig Deine Expertise in Sachen Handball weiterzugeben? Immerhin stehst Du seit 30 Jahren an der Seitenlinie und kannst mit jeder Menge Wissen glänzen.
„Wenn man als Trainer arbeitslos ist, muss man warten, bis jemand auf deinen Namen stößt. Es ist nicht so wie in der freien Wirtschaft, dass man sich bewirbt. Es ist eher so, dass abgewartet werden muss, ob ein erfahrener, älterer Trainer der Richtige für den Verein, für die Mannschaft ist. Man sollte aber auch realistisch sein, denn die Entwicklung geht Richtung junger Kollegen. Es hat sich einiges im Handball verändert. Deshalb ist es meine Intension, einfach abzuwarten. Ich bin ja immerhin noch kein Rentner – wobei sich die Frage stellt, wann ist man als Trainer Rentner :-), wie lange kann man den Job ausüben. Für mich ist es wichtig, dass ich gesundheitlich auf der Höhe bin. Und wenn die Gesundheit passt, kann ich noch lange arbeiten. Das heißt, wenn jetzt ein interessantes Angebot ins Haus flattern sollte, kann ich mir vorstellen, wieder einen Job zu übernehmen.“
Wärst Du auch flexibel, wenn zum Beispiel ein Angebot als sportlicher Leiter kommen würde?
„So lange es um Handball geht, warum nicht. Außer als Influencer zu arbeiten, kann ich mir alles vorstellen :-). Nein, im Ernst, generell ist es meine Leidenschaft als Trainer zu arbeiten.“
Wenn jetzt ein ganz interessantes Angebot vom Ausland kommen würde, würde Dich das ebenfalls reizen?
„Ich habe die letzten Jahre immer mal wieder im Ausland trainiert, habe dort Erfahrungen gesammelt. Ich würde es nicht ausschließen.“
Machen wir mal den Schwenk auf Großwallstadt. Du verfolgst ja sicher den TVG weiter. Was hat sich verändert seit Deinem Weggang?
„Generell wird nach einem Trainerwechsel die Mannschaft nicht zwangsläufig besser. Die Weiterentwicklung ist in der Kürze der Zeit auch für den neuen Trainer André Lohrbach schwierig. Wobei es auch nicht normal ist, nach drei Spieltagen eine Mannschaft zu übernehmen. Wir waren ja nicht in einer Krise oder im Abstiegskampf. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Art ist nicht normal. Aber André Lohrbach hat die gleichen Probleme wie ich sie auch hatte, nämlich dass einige sehr wichtige Spieler verletzt sind. Mario Stark hat in der aktuellen Saison noch kein einziges Spiel absolvieren können, Finn Wullenweber ist schon lange verletzt. Ich hoffe, dass der TVG nicht in den Abstiegskampf kommt, denn das wäre sehr schade. Die Mannschaft hat zuletzt ein paar Spiele gewonnen, die man normalerweise nicht so einfach gewinnt, wie gegen den Bergischen HC, gegen Nettelstedt oder Hamm. Von daher denke ich, dass die Mannschaft sich am Ende im Mittelfeld finden wird. Aber grundsätzlich sollte sich der Verein Gedanken machen, wo die Reise hingehen soll.“
Hinzu kam die Sache mit Nils Kretschmer, den Du beim TVG zum Kapitän bestimmt hattest.
„Was da passiert ist, ist sehr schade. Es schadet Nils, dem Verein und dem ganzen Handball. Ich persönlich glaube, dass der Handball dopingfrei ist und bei Nils muss erst einmal abgewartet werden, ob sich der Verdacht gegen ihn bestätigt. Falls ja, hätte dies nicht nur ihm, sondern auch dem Handball großen Schaden zugefügt.“
Die Handball WM steht vor der Tür. Wer ist für Dich der Favorit? Wo siehst Du die deutsche Mannschaft in der Endabrechnung?
„Die letzten Jahre hat sich herauskristallisiert, dass Dänemark der Topfavorit ist. Dann kommen die Franzosen dazu, auch Spanien spielt eine wichtige Rolle. Es ist erkennbar, dass sich international viel entwickelt hat. Jeder kann jeden schlagen. Vom Prinzip ist so ein Turnier eine Sache der Entwicklung. Da sind die Deutschen gut dabei. Sie sind ein Stück weiter als vor zwei Jahren. Ich denke, wenn wir ins Halbfinale kommen würden, wäre das sehr schön.“
Könntest Du Dir grundsätzlich auch vorstellen, eine Nationalmannschaft zu trainieren?
„Ja, das könnte ich mir vorstellen und das würde ich sogar gerne machen. Das ist ja auch so ein Projekt, wo du nicht jeden Tag mit den Jungs in der Halle stehst, sondern nur zu gewissen Zeiten. Ich habe ja auch schon Bahrain als Nationaltrainer trainiert. Leider kam dann Corona. Wenn so ein Angebot kommen und passen würde, warum nicht.“
Du bist ja nicht nur Handballtrainer, sondern auch Keynote Speaker, Autor, Medienberater usw. Was würde einen Michael Roth noch reizen, welches Puzzleteil fehlt noch in Deiner „Sammlung“?
„Wenn es jetzt nicht ein Trainerjob wäre, dann würde ich gerne meine Expertise als Experte zum Beispiel bei einem Sportsender einbringen. Was ich auf jeden Fall mit meinem Bruder ausdehnen werde, sind unsere Motivationsvorträge, vor allem im Gesundheitswesen. Das macht uns Spaß, weil wir hier viel bewegen können. Was mir auch viel Spaß macht, ist, auf Reisen zu gehen. Wenn ich irgendwann tatsächlich mal in Pension gehen sollte, dann werde ich mit meiner Frau Katrin sicher öfter auf Reisen sein.“
Vita Michael Roth:
Michael Roth begann, zusammen mit seinem Zwillingsbruder Ulrich, das Handball spielen in Leutershausen. Für die SGL spielte er auch in der 2. Bundesliga, trug von 1985 bis 1990 das Trikot beim TV Großwallstadt.
Mit dem TVG stand er 1986 im Europapokal-Finale, gewann 1987 und 1989 den DHB Pokal und 1990 die deutsche Meisterschaft. Danach spielte er beim TV Eitra und beim TUSEM Essen, mit dem er 1994 City Cup Sieger wurde.
Michael Roth wurde 1983 Vize-Weltmeister mit der Junioren Nationalmannschaft. Für die Männer-Nationalmannschaft bestritt er 44 Länderspiele, warf 60 Tore.
1984 nahm er an den Olympischen Spielen in Los Angeles teil und gewann die Silbermedaille. 1986 nahm er an der Weltmeisterschaft 1986 teil.
Ab 1994 trainierte Michael Roth den TSV Östringen und ab 2002 die durch den Zusammenschluss des TSV mit der TSG Kronau entstandene SG Kronau-Östringen, mit der er 2003 in die 1. Bundesliga aufstieg.
Von 2004 bis 2009 trainierte er den TV Großwallstadt, in der Saison 2009/10 die HSG Wetzlar und war dann ab 2010 Trainer der MT Melsungen. Mit der MT zog er 2013 und 2014 ins Final Four des DHB Pokals ein. 2014/15 spielte die MT erstmals international im EHF Europa Pokal, kam bis ins Viertelfinale.
Im Oktober 2018 betreute er bei der Vereinsweltmeisterschaft den Ozeanienvertreter Sydney University – wie 2019 auch.
Im Februar 2020 übernahm er bis zum Saisonende den Bundesligisten Füchse Berlin, ab Oktober 2020 trainierte er die Nationalmannschaft des Bahrains.
Roth übernahm im Januar 2022 den Zweitligisten VfL Lübeck-Schwartau bis Saisonende und im Juli 2022 den österreichischen Verein Bregenz Handball. Ab der Saison 2023/24 übernahm er den TV Großwallstadt bis zum September 2024.
Wer mehr über Michael Roth und seinen Bruder Uli erfahren möchte, schaut auf der Website der beiden vorbei:
Dort sind alle Infos zu finden – auch über die Bücher, die die Zwillinge geschrieben haben.der
Die Bilder hat uns Michael zur Verfügung gestellt. Danke dafür.