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Carsten und Andi auf dem Weg zum Titel

Als am 15. Januar 2016 die Handball-Europameisterschaft in Polen begann, haben selbst die größten optimistischsten Handballfans nicht im Traum daran gedacht, dass unsere Nationalmannschaft so groß auftrumpfen würden. Die Liste der verletzten etablierten Spieler war schon vor Beginn dieses Ereignisses groß, so dass Nationaltrainer Dagur Sigurdsson “improvisieren”  und viele Junge regelrecht ins kalte Wasser werfen musste.

Heute Abend bestreiten unsere Deutschen das Halbfinale gegen Norwegen. Ein unglaublicher Erfolg, basierend auf einer enormen mannschaftlichen Geschlossenheit. Was diese Spieler bisher leisteten, ist gar nicht hoch genug zu bewerten.

Zwei der Leistungsträger im Team von Sigurdsson sind die beiden Torhüter, die beim Drittligisten TV Kirchzell groß geworden sind. Beide sind dem Kirchzeller Trainer Gottfried Kunz – nach seiner Aussage – regelrecht zugelaufen. „Carsten’s Vater Artur fragte mich, ob sein damals 18-jähriger Sohn bei uns spielen kann. Ich sagte natürlich sofort ja, sagte aber auch, dass wir kein Geld bezahlen können.“ Doch ums Geld ging es dem Papa nicht. So einigten sich die Parteien darauf, Carsten den Sprit zu bezahlen, den er von seinem Wohnort Würzburg bis nach Kirchzell benötigte. Nach einiger Zeit zog der junge Keeper zu seiner Oma nach Großwallstadt und so verkürzte sich die Fahrtzeit erheblich. Und er entwickelte sich sehr gut. Drei Saisons spielte er bei den Odenwäldern (1999/2000 bis 2000/2001), ist in seinem ersten Jahr mit dem TVK in die zweite Liga aufgestiegen. In seiner letzten TVK-Saison hatte er bereits ein Doppelspielrecht beim damaligen Erstligisten TV Großwallstadt, zu dem er auch 2002 wechselte.

Warten auf Carsten

Gottfried Kunz weiter: „Ich kann mich noch gut an das erste Training mit Carsten erinnern. Damals war er ja gerade einmal knapp 19 Jahre alt und wir warteten in der Halle auf ihn. Aber er kam nicht. Wir probierten es auf seinem Handy, wir riefen in Würzburg bei seinen Eltern an. Doch von Carsten keine Spur.“ Stunden später klärte sich alles auf. Der Jungspund hatte auf seinem Weg nach Kirchzell zwischen Walldürn und Schneeberg einen Plattfuß. Er hatte keine Möglichkeit zu telefonieren. Es gab genau dort ein Funkloch. Kunz: „Mensch, was waren wir damals nervös und was waren wir erleichtert, als er endlich vor uns stand.“
Zu Andreas Wolff, der aus Rheinbach bei Euskirchen stammt, kam der TV Kirchzell per Zufall. »Andi war als 16-Jähriger beim damaligen Handball-Leistungszentrum in Großwallstadt zum Probetraining«, erzählt Kunz. Dort half der Kirchzeller Coach an diesem Tag bei der Sichtung aus. Den Weg ins Internat des HBLZ fand Andi letztlich nicht. Das scheiterte am Geld. Bei drei Kindern sei es schwierig, jedem gerecht zu werden, berichtet Kunz von der Entscheidung der Familie gegen das Internat.

Mama Hauptmann kochte für Andi

Der Kirchzeller Coach fackelte daraufhin nicht lange. Die Kirchzeller stellten dem jungen Torhüter eine Wohnung zur Verfügung und die Mama von TVK-Spieler Alexander Hauptmann, jetziger Trainer des Drittligisten Nieder-Roden, erklärte sich bereit, für den Jungen zu kochen. „Regelmäßiges und gesundes Essen ist immer wichtig, gerade in dem Alter“, weiß Trainer Kunz. So kam Wolff in der Saison 2008/09 nach Kirchzell und spielte dort, zwischenzeitlich auch mit Doppelspielrecht für den TV Großwallstadt, bis 2012/13. Danach wechselte er ganz zum TVG.

„Ich habe beiden Großes zugetraut. Dass sie irgendwann Nationalmannschaft spielen würden, konnte ich allerdings nicht voraussehen. Es gibt ja immer Auf und Ab’s in einer Entwicklung und es können viele Dinge dazwischen kommen. Bei den beiden lief alles in die richtige Richtung. Auf jeden Fall freue ich mich sehr für die beiden und wünsche den Jungs viel Erfolg bei der EM“, so Kunz und in seiner Stimme schwingt ein bisschen Stolz mit.

Heute Abend drückt die ganze Nation den beiden und der restlichen Nationalmannschaft die Daumen und hofft auf den nächsten Erfolg.

Die Bilder hat uns unser Fotograf Klaus Roos zur Verfügung gestellt. Dafür herzlichen Dank!